Magazin Notabene

Das Lied entdecken

Im September 2024 hat Pascal Hüppi das Ressort Musik im Festsaal übernommen. Der junge Bariton hat klare Vorstellungen, wohin er die Musikreihe entwickeln will. Ein Gespräch über Gesang und die Zukunft.

April 2025

  • Musik im Festsaal
  • Persönlich

Die ersten Konzerte Ihrer neuen Reihe «Puls von Muri» sind über die Bühne gegangen. Wie sind Ihre ersten Eindrücke?
Qualitativ haben die Konzerte und Darbietungen mich sehr überzeugt. Schön, dass wir so berühmte Leute wie Juliane Banse, Sebastian Kohlhepp oder Lia Pale und nicht zuletzt Daniel Heide haben durften – aus künstlerischer Sicht waren das absolute Highlights. Das Kammerkonzert am Sonntagmorgen, war nicht nur sehr speziell, Schuberts «Winterreise» in der komponierten Interpretation von Hans Zender für Tenor und kleines Orchester kann man nur selten aufführen. Es war wunderbar.

Sie sind also zufrieden…
Das künstlerische Fazit ist sehr positiv. Auch das Echo war schön und zustimmend. Aber ich sehe bezüglich der Publikumszahlen noch Luft nach oben. Es geht nun darum, herauszufinden, was in Muri funktioniert und was nicht.

Was haben Sie bereits gelernt?
In Zukunft werden wir vielleicht etwas anders staffeln. Viermal die «Winterreise» direkt nacheinander war möglicherweise etwas viel. Doch ich wollte einen speziellen und starken Anfangspunkt setzen – und das scheint mir doch gelungen. Bislang war im Freiamt der Gesang, genauer das Lied, nicht so stark vertreten. Von daher dürfte das für das Publikum in einem gewissen Sinne ein wenig Neuland sein. Einerseits ist genau das jedoch mein persönlicher Schwerpunkt, andererseits kann Musik im Festsaal dadurch auch klarer ein eigenes Profil gegenüber anderen Veranstaltern etablieren, was wiederum die Vielfalt in der Region stärkt.

Sie sagen, Gesang sei Neuland, andernorts habe ich gehört, das Lied als solches sei im klassischen Bereich doch eher unpopulär. Woran liegt das?
Neuland ist vielleicht das falsche Wort, aber insbesondere die Gattung Lied ist doch eine intime. Ihr haftet leider das Vorurteil an, dass man auf besondere Art gebildet sein muss, um Lieder geniessen zu können. Das teile ich nicht: Lieder regen das Denken sicher in besonderem Masse an – und das ist ein wichtiger Aspekt des Lieds. Aber Lieder sind vor allem auch sehr sinnlich, denn die Textgrundlage ist meist keine Prosa, sondern Lyrik. In lyrischen Texten geht es nicht nur um Handlung, sondern stark um Klang, Rhythmus und Mehrdeutigkeiten. Das Vorurteil hat aber zur Folge, dass die Liedgattung vielleicht nicht ganz so populär ist wie anderes. Mag sein, dass dies in der Geschichte der Gattung liegt.

Jetzt machen Sie mich neugierig…
Zu Schuberts Zeiten etwa hat sich das Kunstlied sozusagen im Wohnzimmer überhaupt erst geformt. Das war einer der wenigen Orte, an dem der kunstinteressierte Freundeskreis um Schubert sich zensurfrei ausdrücken konnte. Daraus geht auch der Begriff der Schubertiade hervor. In der Romantik entdeckte besonders eine bürgerliche Schicht das Kunstlied für sich. Es wurde mehr und mehr zum Statussymbol für gebildete und wohlhabende Bürger. Von Beginn an war das Kunstlied kein Massenphänomen. Es war eine intimere Gattung, Musik für die Kammer. Das hat sich dann mit Orchesterliedern weiterentwickelt.

Lieder sind also schwerer zugänglich?
Ein Lied komprimiert eine ganze Geschichte auf wenige Minuten. Das verlangt eine gewisse Konzentration, die in schnelllebigen Zeiten heute vielleicht manchmal weniger gefordert wird. Opernarien scheinen da aufs erste Hören zugänglicher. Sie sind eingebettet in eine Oper, eine Geschichte, die mehrere Stunden dauern kann. Arien geben nur einen kleinen Ausschnitt eines grossen Dramas wider. Doch wer hören mag, findet einiges an Dramatik und Lebendigkeit und vor allem jede Menge verdichtete Sinnlichkeit im Lied. Es lohnt sich, mit offenem Herzen hinzuhören.

Einfach «klassische Musik geniessen» kann ich also nicht mehr?
Doch natürlich, das soll immer stattfinden können. Ich möchte Konzerte haben, wo diese besonders sinnliche Komponente darin ist. Ich will aber nicht nur Wohlklang und Ohrenschmeichler zeigen. Kultur hat doch auch einen Auftrag. Musik hat das Potenzial, unmittelbar zu den Menschen zu reden, weil sie so intuitiv und emotional zugänglich ist. Und eben auch das vorhin erwähnte Lied mit intellektuellen Komponenten. Es wäre eine vertane Chance, Musik nur als Berieselung zu sehen, meine ich. Gerade in den heutigen, doch schwierigen und herausfordernden Zeiten. Trotzdem, die sinnliche Komponente ist und bleibt das Wichtigste - und am Ende entscheidet im Konzert jede und jeder selbst, welchen Anteil das rein sinnliche Erlebnis hat und welchen der Denkanstoss. Wichtig ist mir, dass beides stets möglich ist.

Sie sprechen von herausfordernden Zeiten. Im neuen Zyklus «Puls von Muri» geht es um Emotionen: Angst, Wut, Trauer, Freude. Drei der vier Zustände sind negative, ist das nicht etwas gar anspruchsvoll?
Aus meiner Sicht ist das ein Vorurteil, dass diese Emotionen so negativ sein sollen. Dieses sogenannte Negative wollen wir oft nicht fühlen und schieben es weg. Aber gerade Angst, Wut und Trauer haben auch eine wichtige Funktion: Geht man hindurch, macht es einen freier. Ein Trauerprozess beispielsweise tut weh, ja, aber er ist auch heilsam und sinnvoll. Wir leben in einer Zeit der Umbrüche, es gibt grosse Krisen, weitere werden wohl leider auf uns zukommen. Da kann man nicht einfach wegsehen. Für mich ist das Annehmen dieser Dinge wichtig, denn ich glaube, nur so kann sich etwas verändern, sich wandeln. Der Zyklus «Puls von Muri» hat noch einen anderen Hintergrund: Das Jubiläum zu 1000 Jahren Muri soll bei Musik im Festsaal vorausschauend begangen werden. Vorher findet eine Art Reinigung, Katharsis, statt. Damit wollen wir, sprich Muri, frei werden für Neues.

Ist das nicht etwas gar anspruchsvoll?
Ich habe schon einigen Respekt davor. Doch das Echo der Menschen, die in den letzten Konzerten waren, war sehr gut. Und die Konzerte stehen ja nicht einfach im luftleeren Raum, die Gespräche dazwischen geben Hintergrund, weitere Tiefe und sind dazu eine einmalige Gelegenheit mit Künstlerinnen und Künstlern in einen Austausch zu kommen. Zudem gilt es, Musik im Festsaal weiter zu profilieren: Um Murikultur herum gibt es auch einige andere Institutionen im musikalischen Bereich. Hier wollen wir eine Einzigartigkeit schaffen, nicht im Sinne von Konkurrenz, sondern eben dadurch, verschiedene Publika anzusprechen – mit unserer ganz eigenen Handschrift. Anders ausgedrückt geht es darum, dem Publikum eine reiche Auswahl zu bieten über all die Institutionen hinweg. Und dort, wo es möglich und sinnvoll ist, gerne zusammenzuarbeiten.